💡 Die Idee war nie ganz neu
Die WiNKELBAR war keine spontane Schnapsidee. Im Gegenteil – wir hatten diesen Gedanken schon lange: Warum nicht ein Geschäft, in dem man nicht nur Wein kaufen, sondern auch ein Glas trinken kann? Dieses „Weinladen plus Weinchen“-Konzept machte in unseren Augen total Sinn – vor allem auf einer Urlaubsinsel. Die Nachfrage war da, das Feedback begeisternd, die Stimmung einfach magisch.
Aber mit einer guten Idee allein ist es auf Spiekeroog eben nicht getan. Denn im Urlaubsort kommen andere Dynamiken ins Spiel – und irgendwann stellt sich die alles entscheidende Frage:
Willst du ein Concept Store sein – oder ein Gastro-Betrieb? Beides gleichzeitig geht nicht. Nicht mit den begrenzten Ressourcen auf der Insel.
🌇 Gastro: ein komplett neues Spielfeld
Was viele nicht sehen: Mit einer Bar betritt man ein völlig neues Geschäftsfeld. Auch wenn ich früher als IKEA Food Manager Einblicke in die Systemgastronomie hatte – Inselgastro ist eine andere Liga.
Plötzlich mussten wir uns Gedanken machen über:
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Hygienestandards
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Produktivität bei wenigen Tischen
-
Schichtplanung trotz Wetterrisiko
-
und ganz banal: Eiswürfel.
Letztere wurden übrigens schnell zum Running Gag – und zum echten Engpass. Zum Glück hatten wir tolle Unterstützer: Borsi vom Capitänshaus und das Team vom Vinh halfen uns in Peak-Zeiten spontan mit Eis aus. Danke euch – ohne euch wäre manches Glas Sanddorn-Spritz leer geblieben.
🥘 Unser Tag fängt früher an, als man denkt
Wenn wir um 9:30 Uhr den Laden öffnen, sind wir schon seit 8 Uhr im Einsatz. Die eineinhalb Stunden bis zur Öffnung sind vollgepackt: Wir schneiden frischen Käse, füllen Verkaufsregale auf, kontrollieren Lieferscheine, kümmern uns um Onlinebestellungen und räumen Kühlware ein. Alles muss vorbereitet sein, damit wir entspannt und präsent in den Tag starten können.
Unser Ladengeschäft lief dann in der Regel bis 18 - 18:30 Uhr. Und parallel dazu – teils schon am späten Vormittag – gab es die ersten Gäste, die sich ein Weinchen gönnten. Die WiNKELBAR war also nie ein strikt abgetrenntes Abendkonzept, sondern eher ein fließender Übergang im Tagesverlauf. So richtig los ging es aber meist ab 17 Uhr, wenn die Nachmittagssonne in den Innenhof fiel und der Sanddorn-Spritz zum Feierabendgetränk wurde.
☀️ Teilzeit-Bar mit Vollzeit-Herausforderungen
Unsere WiNKELBAR war bewusst eine Teilzeit-Bar. Vier bis fünf Tische, kein Restaurantbetrieb. Aber das Problem:
Eine Teilzeit-Bar braucht trotzdem volle Gastro-Expertise.
Du brauchst geschultes Personal, das flexibel genug ist, auch im Laden zu helfen. Aber diese Leute gibt es auf der Insel nicht einfach so. Und wenn, dann musst du ihnen Wohnraum bieten. Das macht es fast unmöglich, spontan oder saisonal zu reagieren.
Zudem erwarten Gastro-Mitarbeiter*innen zu Recht eine stabile Schichtplanung, ein volles Gehalt, ggf. Trinkgeld. Das konnten wir nicht immer bieten – und auch nicht verantworten.
📈 Wir wollten Chancen geben – und haben viel gelernt
In der ersten Phase der WiNKELBAR haben wir die Fläche auch für andere geöffnet, die Lust hatten, sich im Gastrobereich auszuprobieren. Wir dachten: Warum nicht gemeinsam etwas aufbauen, voneinander lernen, Synergien nutzen?
Im Kern war das eine schöne Idee – doch in der Praxis zeigte sich: Es braucht klare Rollen, gemeinsame Werte und ein gutes Gespür dafür, was wirklich zu unserem Konzept passt. Nicht alle Vorstellungen ließen sich miteinander verbinden – und manches fühlte sich mit der Zeit einfach nicht mehr stimmig an.
Rückblickend war es trotzdem ein wertvoller Schritt. Denn heute wissen wir noch klarer, wofür der INSELWiNKEL steht – und was wir wirklich selbst gestalten möchten.
🌙 Nach Ladenschluss beginnt die zweite Schicht
Nach Ladenschluss schnell nach Hause, was essen, unser Kind mit ins Bett bringen – und dann zurück in ins Geschäft. Denn ab 19 Uhr wurde es voll. Die Gäste kamen für ein letztes Glas Wein, einen Sanddorn-Spritz oder einfach einen entspannten Ausklang in unseren von der Abendsonne gefluteten Innenhof.
Was uns dabei immer wichtig war:
Wir möchten ein guter Nachbar sein. Direkt um unseren Innenhof herum befinden sich Ferienhäuser – und es war uns von Anfang an wichtig, dass spätestens um 22:00 Uhr Ruhe einkehrt. Die letzten Gläser wurden daher meist gegen 21:30 Uhr ausgeschenkt, danach durfte der Abend entspannt ausklingen. Nicht, weil wir mussten – sondern weil wir es richtig finden.
Danach: Gläser spülen, Tische putzen, Toilette sauber machen, Aschenbecher leeren – der ganze Nachlauf. Und dann lag man da – voll mit Adrenalin, der Kopf noch auf Empfang. Schlaf? Vielleicht um Mitternacht. Vielleicht auch erst später. Sechs Stunden später klingelte der Wecker. Und dann hieß es wieder: Den INSELWiNKEL verkaufsbereit machen.
🧾 Was man alles braucht, um eine Bar zu eröffnen – und was das wirklich kostet
Wer glaubt, man stellt einfach ein paar Tische raus, schenkt Wein aus und nennt das Ganze „Bar“ – der irrt. In Deutschland (und besonders auf einer Insel) braucht es deutlich mehr, bevor der erste Sanddorn-Spritz fließen darf.
✅ Die Schankgenehmigung
Die haben wir relativ schnell bekommen – aber: Wer Alkohol ausschenkt, muss seinen Gästen auch eine Toilette zur Verfügung stellen. Das schreibt die Gaststättenverordnung in Deutschland so vor.
🚩 Unser Zwei-Quadratmeter-Gäste-WC
Fun Fact am Rande: Unser kleines Gäste-WC misst etwa zwei Quadratmeter – und hat uns beim Umbau knapp 9.000 € gekostet. Kein Goldhahn, keine Luxusfliesen – einfach nur Standard. Aber auf der Insel sind Baukosten eben eine andere Liga.
🍇 Was sonst noch dazugehört:
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Barkeeper - "Zubehör"
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Ausreichend verschiedene Gläser für alle Drinks
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Musikanlage für draußen – mit GEMA-Gebühr
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Eigene Kasse inkl. Kassenbuch & EC-Terminal
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Regelmäßige Extra-Kontrollen von Ordnungsamt & Lebensmittelaufsicht
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Sonnenschirme gegen Möwen und andere gefiederte Überraschungen – ja, auch das gehört auf Spiekeroog zur Realität einer Außenbar.
💶 Steuerfallen, die man besser vorher kennt
Beispiel: Käsewürfel.
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To-Go im Laden: 7 % Mehrwertsteuer
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Draußen mit Wein serviert: 19 % Mehrwertsteuer
Diese Feinheiten muss man auf dem Schirm haben – sonst kann es bei einer Betriebsprüfung teuer werden.
Auch beim Trinkgeld gilt:
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Team: steuerfrei
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Inhaber*innen: muss versteuert werden
Ich habe deshalb immer gesagt: „Trinkgeld ist fürs Team – ich bin raus.“
🎭 Unsere Learnings: Wenn Gastro zum Minigame wird
Was wir aus dieser Zeit ganz praktisch mitgenommen haben?
Gastronomie ist ein Spiel aus Abläufen, Timing und Haltung.
Unsere Karte startete mit einem Weißwein, einem Rosé, zwei Hausweinen und Likören. Dann kamen Sanddorn-Spritz und Wildbeer-Spritz dazu. Bald stand Gin Tonic auf dem Wunschzettel, dann weitere Drinks – am Ende waren es über 20 verschiedene Getränke plus Snacks.
Das wird schnell komplex:
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Gläser müssen durch die Spülstraße (240 Sekunden)
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Eis muss immer da sein
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Wein muss gekühlt sein
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Gäste wollen gleichzeitig bestellen
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Die Abstellstation für leere Gläser darf nicht überlaufen
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Und am besten sieht’s trotzdem entspannt aus
Gastro ist Hochleistungssport mit Show-Effekt.
Der Gast soll deine Hektik nicht spüren – nur den Moment genießen. Es ist ein bisschen wie Theater: hinten rennt man, vorne strahlt man. Ein ganz anderer Fokus als im Concept Store.
💸 Ein Glas, ein Schnack – und was Trinkgeld über Mentalität verrät
Am Anfang haben wir den Ausschank noch direkt im INSELWiNKEL gemacht – am Kassentresen. Die Gäste kamen rein, bestellten ein Glas Wein, zahlten meist passend und gingen damit raus zu den Stehtischen.
Doch das sorgte für Spannungen:
Der eine wollte nur schnell ein Mitbringsel kaufen, der andere einen gemütlichen Schnack mit dem "Kassen-Barkeeper".
Und beides gleichzeitig? Funktioniert im selben Raum nicht. Die Schlange wurde länger, die Atmosphäre kippte – und uns wurde klar:
Der Ausschank muss raus.
Also bauten wir draußen eine kleine Bar. Ganz einfach aus Palettenmöbeln – mit eigener Kasse, extra Terminal und Kassenbuch. Und plötzlich passierte etwas Unerwartetes:
Es gab Trinkgeld.
Drinnen: nichts.
Draußen: im Schnitt 10 % – obwohl der Ablauf nahezu identisch war.
Ein spannendes Phänomen. Denn im INSELWiNKEL zahlen wir unseren Mitarbeiter*innen 15 € pro Stunde. In der Gastronomie hingegen ist der Lohn oft näher am Mindestlohn. Der Rest wird quasi durch den Gast finanziert – durch Trinkgeld.
Das soll nicht falsch verstanden werden: Wir finden Trinkgeld eine schöne und wertschätzende Geste.
Gleichzeitig hat uns die Erfahrung gezeigt, wie unterschiedlich Vergütungsmodelle in Einzelhandel und Gastronomie funktionieren – und wie stark Gäste über Trinkgeld mitgestalten.
Das ist kein Vorwurf, sondern eher eine Beobachtung: In der Gastro gehört Trinkgeld oft einfach dazu – auch, weil viele Betriebe mit saisonalen Schwankungen und Personalmangel kämpfen.
Unsere Gastro-Inselkolleg*innen leisten da wirklich Beeindruckendes.
🛑 Unsere Entscheidung: ein ehrliches Nein
Irgendwann war klar: Wir müssen einen klaren Cut machen. Kein „Mal schauen“, kein „Vielleicht nächsten Sommer“. Sondern ein ehrliches Nicht jetzt.
Und das hatte nichts mit Wirtschaftlichkeit zu tun – im Gegenteil:
Mit der WiNKELBAR haben wir gutes Geld verdient. Aber wir mussten uns entscheiden:
-
Die Bar funktioniert – aber sie passt aktuell nicht zu uns.
-
Unser Geschäft ist ein Concept Store, kein Hybridbetrieb.
-
Und: Wir sind auch Eltern. Unser Kind ist noch klein. Unser Alltag fordert uns.
Jede Saison bringt neue Aufgaben, neue Gäste, neue Themen. Und manchmal braucht es die Kraft, nicht mehr zu machen – sondern das, was man macht, richtig gut.
Ob es die WiNKELBAR nochmal geben wird? Vielleicht.
Wir sagen niemals nie.
Aber wenn, dann mit den Learnings, die wir gesammelt haben: mit klareren Abläufen, vereinfachter Karte, abgestimmtem Personal, definiertem Zeitrahmen.
❤️ Was bleibt
Die Erinnerungen. An Abende voller Lachen, guter Gespräche und besonderer Stimmung. An Experimente, an mutige Schritte, an Sanddorn-Spritz in der Abendsonne.
Und die Erkenntnis: Nicht alles, was funktioniert, passt auch zu uns.
Der INSELWiNKEL bleibt ein Concept Store mit Seele. Mit der passenden Weinempfehlung im Regal – aber ohne Bar. Und mit ganz viel Liebe für das, was wir täglich tun.
🍹 Zum Schluss ein Tipp
Wer Lust auf einen INSELWiNKEL-Sanddorn-Spritz bekommen hat:
Den gibt es weiterhin bei Vinh und bei der Giftbude – und dort lässt sich auch hervorragend ein Weinchen draußen genießen.
Und bei Vinh gibt’s übrigens auch unseren INSELWiNKEL-Gin. Cheers!
6 Kommentare
Oliver Kratochwil
Danke für die tiefen Einblicke.
Das macht euch nochmal eine Ecke sympathischer !
Danke für die tiefen Einblicke.
Das macht euch nochmal eine Ecke sympathischer !
Janin
Oh mein Gott. Wie schön ist dieser Bericht. Ich denke wirklich jeder wird diesen Schritt nachvollziehen können. Natürlich werde ich eure Bar vermissen. Aber ihr und eure tolle Energie bleiben uns allen ja erhalten. So wird im Laden eingekauft und geschnackt.
Viele Grüße aus Lamstedt
Oh mein Gott. Wie schön ist dieser Bericht. Ich denke wirklich jeder wird diesen Schritt nachvollziehen können. Natürlich werde ich eure Bar vermissen. Aber ihr und eure tolle Energie bleiben uns allen ja erhalten. So wird im Laden eingekauft und geschnackt.
Viele Grüße aus Lamstedt
Georg Dorenkamp
Moin Andreas,
ich kann deine komplette Argumentation verstehen. Gastro ist immer schwierig und auf einer Insel besonders.
Zum Glück haben wir auf der Insel ein besonders entspanntes Publikum. Ich kenne Hot Spots da dreht der “Gast” völlig am Rad.
Leider konnte ich euren Innenhof noch nicht erleben, dass liegt aber an unseren Reisezeiten. Allerdings fand ich den Glühweinausschank vor eurem Laden sehr gut.
Wir sind in der ersten Oktoberwoche auf unserer Lieblingsinsel und werden natürlich bei euch vorbeischauen. (Mein Gin neigt sich dem Ende zu).
Ich freu mich sehr auf Euch und euren Laden.
Liebe Grüße
Georg
Moin Andreas,
ich kann deine komplette Argumentation verstehen. Gastro ist immer schwierig und auf einer Insel besonders.
Zum Glück haben wir auf der Insel ein besonders entspanntes Publikum. Ich kenne Hot Spots da dreht der “Gast” völlig am Rad.
Leider konnte ich euren Innenhof noch nicht erleben, dass liegt aber an unseren Reisezeiten. Allerdings fand ich den Glühweinausschank vor eurem Laden sehr gut.
Wir sind in der ersten Oktoberwoche auf unserer Lieblingsinsel und werden natürlich bei euch vorbeischauen. (Mein Gin neigt sich dem Ende zu).
Ich freu mich sehr auf Euch und euren Laden.
Liebe Grüße
Georg
Tina
Wir konnten die Winkelbar nicht im Sommer genießen, aber im November haben wir dort einen schönen Glühwein genossen! Es war einfach toll…
Lg
Wir konnten die Winkelbar nicht im Sommer genießen, aber im November haben wir dort einen schönen Glühwein genossen! Es war einfach toll…
Lg
Karsten
Hallo Andreas,
Ja wir vermissen die Winkelbar auch ganz doll. Wir sind immer gerne gekommen obwohl wir schräg gegenüber im Inselsünn wohnen und dort unseren Wein auf der eigenen Terrasse hätten trinken können….
Wir finden deine Argumentation völlig schlüssig, sind aber als Außenstehende nie darauf gekommen.
Ab Sonntag sind wir auf der Insel und freuen uns auf den Einkauf bei Euch.
Liebe Grüße Sylvia und Karsten
Hallo Andreas,
Ja wir vermissen die Winkelbar auch ganz doll. Wir sind immer gerne gekommen obwohl wir schräg gegenüber im Inselsünn wohnen und dort unseren Wein auf der eigenen Terrasse hätten trinken können….
Wir finden deine Argumentation völlig schlüssig, sind aber als Außenstehende nie darauf gekommen.
Ab Sonntag sind wir auf der Insel und freuen uns auf den Einkauf bei Euch.
Liebe Grüße Sylvia und Karsten
Dorothea Honefeld
Moin,
was für ein schöner Bericht und Einblick in eure Inselgeschichte. Ihr seid so innovativ und bodenständig. Wünsche eurer kleinen Familie und dem Inselwinkel ganz viel Glück und freue mich auf leckeren Käse Ende August.
Sonnige Grüße
Dorothea Honefeld
Moin,
was für ein schöner Bericht und Einblick in eure Inselgeschichte. Ihr seid so innovativ und bodenständig. Wünsche eurer kleinen Familie und dem Inselwinkel ganz viel Glück und freue mich auf leckeren Käse Ende August.
Sonnige Grüße
Dorothea Honefeld